Es ist 22 Uhr, als wir endlich in Macha eintreffen. Die Dunkelheit hat sich längst über das weite Land gelegt, und trotzdem verspüre ich keine Müdigkeit – nur Erleichterung. Zehn Stunden haben wir in einer unendlich erscheinenden Schlange gewartet, nur um Benzin für den Toyota zu bekommen. Zehn Stunden bei Kälte und dann Hitze, Staub und Geduld. Und dann dieses kurze Aufatmen, als der Tank endlich voll war: Wir würden es schaffen. Jetzt bin ich nur froh, diese Woche meine Arbeit wieder tun zu können. Ich möchte mich nicht einmal über die 10 Stunden Wartezeit beschweren, da andere in anderen Landesteilen zum Teil mehrere Tage warten müssen.
Die Warterei: Ein Test der Geduld
Es ist erstaunlich, wie relativ Zeit werden kann, wenn man gezwungen ist, zu warten. Anfangs zählt man die Minuten, dann die Stunden, irgendwann nur noch die Gelegenheiten, in denen sich die Schlange einen winzigen Schritt vorwärts bewegt. Die erste Kälte des Morgens kriecht in die Knochen, und das leise Murmeln der Wartenden wird zum Hintergrundgeräusch, das die eigene Ungeduld übertönt. Ich sehe in die Gesichter um mich und erkenne Spuren von Erschöpfung – aber auch stille Entschlossenheit.
Kinder spielen mit Steinen am Straßenrand und erfinden ihre eigenen Abenteuer, während die Erwachsenen sich mit kleinen Gesprächen die Zeit vertreiben. Die Sonne steigt langsam höher, und die Kälte weicht einer trockenen Hitze. Staub wirbelt auf, bleibt in den Haaren und auf der Kleidung liegen. Immer wieder wandern Blicke zum Tankstellendach, Sehnsucht und Zweifel schwingen darin mit: Wird das Benzin heute für alle reichen?
Begegnungen am Straßenrand
Warten schweißt zusammen. Die Frau mit der "Melone" oder "Bombin" erzählt von ihrer Familie, die seit Tagen auf Nachschub aus der Stadt hofft. Ein älterer Mann, dessen Gesicht von der Sonne gegerbt ist, spricht leise über die harten Zeiten, die das Land seit Jahren prägen. Und dann, mitten im Nichts, werden Flaschen mit Wasser, Tüten mit Maisbrei und kleine Früchte ausgetauscht – niemand bleibt allein mit seinem Hunger oder Durst.
Ich höre zu, beobachte, wie Fremde einander Mut zusprechen, wie aus der Not heraus Momente der Wärme entstehen. Die Zeit hat sich jetzt in eine besondere Art der Gemeinschaft verwandelt, in der jede*r für die anderen ein wenig Verantwortung übernimmt. Es sind diese kleinen Gesten, die den Tag erträglich machen.
Der Moment der Erlösung
Als endlich der Tankwart winkt, ist es, als würde ein unsichtbares Band aufspringen. Das monotone Brummen der wartenden Motoren schwillt an, ein Ruck geht durch die Schlange. Das Benzin ist in greifbarer Nähe. Bei jedem Fahrzeug, das vollgetankt weiterfährt, steigt die Zuversicht. Ich atme tief durch, als ich an der Reihe bin und das vertraute Klicken der Zapfpistole höre.
Mit dem vollen Tank kehrt eine Leichtigkeit zurück, die ich fast vergessen hatte. Die Angst, irgendwo im Nirgendwo liegenzubleiben, schwindet für einen Moment. Die Strapazen der vergangenen Stunden werden kleiner, rücken in den Hintergrund, als ich ins Auto steige. Nur noch ein paar Stunden Fahrt, dann hätten wir es geschafft.
Die Fahrt durch die Nacht
Je weiter wir fahren, desto stiller wird die Welt draußen. Nur das Licht der Scheinwerfer tastet sich durch das Dunkel, ab und zu huscht ein Schatten über die Straße – ein Esel, ein Hund, manchmal ein Mensch, der schweigend in die Nacht unterwegs ist. Die Gespräche im Wagen werden leiser, Müdigkeit macht sich breit, doch ich halte mich wach mit dem Gedanken an das Ziel.
Die Landschaft, die tagsüber so greifbar und staubig war, verschwindet in der Schwärze. Doch ich weiß, dass hinter der Dunkelheit die Dörfer liegen, die Felder, der Fluss, und schließlich Macha, das kleine Dorf, das für mich mehr ist als nur ein Punkt auf der Karte. Es ist ein Versprechen: Hier kann ich wieder wirken, helfen, anpacken – das gibt mir Kraft.
Macha: Ein neues Kapitel
Als wir in Macha ankommen, ist es still. Nur ein paar Lichter brennen in den Hütten, irgendwo bellt ein Hund. Ich steige aus, strecke mich und fühle, wie die Anspannung langsam weicht. Die Luft ist kühl, voller Erde und Leben. Ich bin angekommen, und das zählt.
Die Stunden des Wartens scheinen plötzlich weit entfernt. Jetzt zählt nur noch, dass ich meine Arbeit wieder aufnehmen kann. Die Herausforderungen sind nicht verschwunden – und sie werden es auch morgen nicht sein. Doch ich bin hier, bereit für alles, was kommt.
Reflexion: Dankbarkeit und Demut
Die Erfahrung dieser Reise hat mir erneut gezeigt, wie privilegiert ich bin, selbst wenn mir zehn Stunden Wartezeit endlos erscheinen. Es gibt Menschen, die tagelang auf einen Kanister Benzin hoffen, die viel größere Entbehrungen ertragen. Das gibt meiner Ungeduld eine neue Perspektive. Sie macht Platz für Dankbarkeit.
Ich bin dankbar für die kleinen Dinge: für die Freundlichkeit der Menschen, für das Teilen von Wasser und Brot, für das Lächeln zwischendurch, für das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die in schwierigen Zeiten zusammenhält. Und ich weiß, dass ich mit jeder Rückkehr nach Macha nicht nur einen Ort wiederfinde, sondern auch ein Stück von mir selbst.
Ausblick: Hoffnung trotz Widrigkeiten
Auch wenn die Situation im Land schwierig bleibt, gibt es immer wieder Zeichen der Besserung. Projekte werden begonnen, Menschen lassen sich nicht entmutigen. Die Fahrt nach Macha war lang, voller Geduld und manchmal auch Zweifel. Doch sie war auch eine Erinnerung daran, wie viel Kraft in Hoffnung und Zusammenhalt liegt.
Am Ende bleibt die Gewissheit, dass jeder noch so lange Weg mit einem einzigen Schritt beginnt – und dass selbst im Dunkel der Nacht Licht sein kann, wenn man miteinander unterwegs ist.
Padre Hernán Tarqui im Dienst für die Ärmsten in den Bergen Boliviens